Vor 85 Jahren - Ein Gesetz zur Erbgesundheit

Schmalensee, den 01. 01. 2019

Das Erbgesundheitsgesetz tritt am 1. Januar 1934, vor 85 Jahren, in Kraft. Es soll „kranken und asozialen Nachwuchs“ mittels Sterilisierung bekämpfen. Diese soll durch neu einzurichtende Erbgesundheitsgerichte angeordnet werden können.

 

Schon im Juli 1933 hat das Segeberger Kreis- und Tageblatt über das entstehende Gesetz umfangreich berichtet. Es ist Teil der „Bevölkerungspolitik“ des nationalsozialistischen Regimes, welches die Sterilisation so genannter Erbkranker als (vorerst) einziges Mittel zur Verhinderung einer Weitervererbung von Geisteskrankheiten und schweren Erbleiden betrachtet. Das Gesetz sieht auch vor, dass Personen, die unter „schwerem Alkoholismus“ leiden, sterilisiert werden sollen.

 

Begründet wird das Gesetz volkswirtschaftlich. Gut 400.000 Personen kämen sofort für eine Sterilisation in Frage, jeweils zur Hälfte Frauen und Männer. Während der operative Eingriff bei einem Mann 20 Reichsmark koste, seien es bei Frauen aufgrund des komplizierteren Eingriffs an die 50 RM – insgesamt also 14 Millionen RM. „Aber der Aufwand trägt so reiche Zinsen, wie noch nie ein Kapital getragen hat“, heißt es in einer Pressemeldung vom 21. Dezember 1933. Und weiter: „Nach 10, 20 oder 30 Jahren wird man feststellen können, dass wir jährlich hunderte von Millionen durch Minderaufwendungen für die Erbkranken sparen.“

 

Was hier als beginnende Entlastung der Sozialsysteme gepriesen wird, ist die Vorstufe zu dem, was Euthanasie genannt wird. Im NS-Jargon die Tötung „lebensunwerten Lebens“. Denn die Ermordung kranker Menschen, später in Konzentrationslagern praktiziert, sollte sich aus „volkswirtschaftlicher“ Perspektive als noch billiger erweisen.

Was die Menschen im Kreis Segeberg schon ab 1933 der Zeitung ansatzweise entnehmen konnten, war bis zum Kriegsende 1945 Wirklichkeit – auch in der Nähe Schmalensees. In seinem 2017 veröffentlichten Buch „Verdrängen, Vergessen, Erinnern“ schildert der Journalist Helge Buttkereit Gedenkorte für die Opfer des NS-Staates im Kreis Segeberg, darunter Rickling: Die im dortigen Lindenhof der „Holsteinischen Heilanstalten für Nerven- und Alkoholkranke“ des Landesvereins für Innere Mission untergebrachten 175 Frauen wurden im November 1941 nach Thüringen zum Sterben verlegt – 19 überlebten den Krieg, neun von ihnen starben bis 1947 an den Folgen ihrer „Behandlung“ oder besser Vernachlässigung. Seine unmenschliche Fratze hat das NS-Regime von Beginn an gezeigt.

 

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Erbgesundheitsgesetz (01. 01. 2019)