Historisches Kalenderblatt im August: Ringreiter ziehen zu Pferde durch Schmalensee

Schmalensee, den 31. 07. 2022

Corona-bedingt musste in Schmalensee nach 2020 auch im Dezember 2021 die Seniorenweihnachtsfeier der Gemeinde abgesagt werden, um Kontakte zu beschränken. Statt einer Feier erhielten die Seniorinnen und Senioren des Dorfes einen Präsentbeutel mit einem Premieren-Inhalt: Einem Schmalensee-Kalender für 2022 mit historischen Aufnahmen. Wenige Restexemplare gingen in den Verkauf für den guten Zweck.

 

Für alle Schmalenseer und Freunde, ob nun Besitzer eines solchen Kalenders oder nicht, sei im Jahr 2022 stets vor dem Monatsersten das nächste Kalenderblatt auf der Gemeinde-Homepage gezeigt und erläutert. Heute also das Kalenderblatt für den August.

 

In so manches Schmalenseer Familienalbum hat der Arbeitskreis Dorfgeschichte schon einen Blick werfen dürfen und diese Fotografie, die wir in die 1950er-Jahre verortet haben, ist oft zu finden. Der Erste, der es uns überließ, war Dietrich Wenghöfer aus dem Hirtenweg. Die Aufnahme zeigt den Um- oder Auszug der Teilnehmer zum Ringreiten auf der Dorfstraße. Auffällig ist das Kopfsteinpflaster, das seinerzeit in der Ortsmitte auf Höhe des Gasthofs existierte, rechts die Einfriedungsmauer am Gefallenendenkmal und im Hintergrund die Säulen vor dem Haus Wulf, heute Griese. Die Reiter tragen mehrheitlich Schirmmützen und Jackett und wirken recht zuversichtlich.

 

Ringreiten – das war in früheren Zeiten einer der absoluten Höhepunkte in den Dörfern. In den alten Zeitungen haben wir Ankündigungen und Berichte aus allen Phasen des 20. Jahrhunderts gefunden, der Kaiserzeit, Weimarer Republik, dem „Dritten Reich“ und der jungen Bundesrepublik. Ausrichter waren anfangs oft „Die Reiter“, was dafür spricht, dass es keinen festen Veranstalter in Form eines Vereins gab. Immer mit einladend waren „Der Wirt“ oder „Die Wirtin“, dazu kommen wir noch. Später übernahm die Partei der Nationalsozialisten wie in eigentlich allem die Organisation, nach dem Zweiten Weltkrieg ging es in loser Form weiter, bis dann die Landjugend übernahm. Der letzte Zeitungsbericht zu einem Schmalenseer Ringreiten ist aus dem Jahr 1962, 1964 wird erstmals vom „Schleppergeschicklichkeitsfahren“ berichtet, das das Ringreiten abgelöst hat, aber längst nicht alle Programmpunkte eines solchen...

 

Ringreiten sprach vor allem die jungen Menschen an, fand aber stets unter reger Teilnahme aller Altersgruppen statt. Man blieb als Ringreiter nicht nur auf das eigene Dorf beschränkt – mancher nahm auch an den Wettkämpfen in der näheren Umgebung teil. So erklärt sich, dass die Königswürde in Schmalensee durchaus oft an auswärtige Ringreiter ging. Beim Ringreiten konnte man sich durchaus präsentieren und vielleicht ja im weiteren Programmverlauf seine Braut finden. Oder man hatte, längst verheiratet, einfach einen Ruf als geschickter Reiter zu verteidigen. In Tarbek fand das Ringreiten lange Zeit stets als Teil der Windgilde-Feier statt, das war eine Versicherung auf Gegenseitigkeit, an deren Hauptversammlung sich lange Jahre das Ringreiten anschloss, ehe es auf den Ballsaal an der Straßenecke nach Schmalensee ging, zuletzt Schädlers Gasthof.

 

Ringreiten fand in Schmalensee auf dem Ringreiterplatz am Weg nach Damsdorf statt, dort, wo heute das alte Wasserwerk Grüner Hans steht und in die heutige Straße Redderkoppel hinein. Dort stand der „Damperschoppen“, eine hölzerne Scheune der Dreschgenossenschaft für gemeinschaftlich angeschafftes Gerät. Uns liegen weit mehr Bilder von Ringreiter-Umzügen vor als vom eigentlichen Ringreiten, bei dem im schnellen Ring mit einem dünnen Dorn ein vom Galgen hängender Ring zu erwischen ist. Auf den „Actionbildern“ ist der Schuppen zu sehen.

 

Das Ringreiten erforderte reiterliches Können und Geschick. Letzteres war auch bei den Wettbewerben für Nicht-Ringreiter gefragt, also die jungen Frauen oder auch mal Kinder. Das Scheffelwerfen war das sehr beliebt, auch vom Vogelpicken ist zu lesen. Zudem gab es mitunter Knobel-Wettbewerbe oder auch ein Schießen, etwa um Aale. Diese weiteren Wettbewerbe wurden zum großen Teil beibehalten, als die Landjugend wie auf dem Acker auch im Wettkampf das Pferd durch den Trecker ersetzte und das Schleppergeschicklichkeitsfahren einführte, das auf den Wiesen in Seenähe stattfinden sollte.

 

War das Ringreiten beendet und der König ermittelt – es gab zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Orten weitere Titel unterhalb des Königs – ging es unter dem Klang einer Kapelle zurück durch die Damsdorfer Straße (wo Schmied Helmut Nagel mit dem Fotoapparat stand) und zum Gasthof Voß. Denn kein Ringreiten ohne Reiterball, für den man natürlich die Damen brauchte, die beim Wettkampf selbst in erster Linie Zuschauerinnen waren. Ringreiten, das war ein gesellschaftliches Großereignis auf den Dörfern, das selbst im Nationalsozialismus nicht pausieren musste – allerdings ritt in der Zeit meist jemand mit der Hakenkreuzfahne dem Umzug voraus, auch davon gibt es ein Foto.

 

Ringreiten gibt es, zumindest hier im Herzen Holsteins, nur noch selten. Bis in die 1990er-Jahre und sogar darüber hinaus gibt es aber Berichte aus Damsdorf und Tensfeld. Derzeit bemüht sich zum Beispiel die Pferdesportgemeinschaft Heidmühlen um eine Wiederbelebung, und auch beim jährlichen Landesbreitensportturnier des Pferdesportverbandes Schleswig-Holstein auf der Bad Segeberger Rennkoppel war es immer wieder zu sehen. 2021 wurde das Ringreiten, das ursprünglich von der Westküste stammt, von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt.

 

Bild zur Meldung: Bild von Dietrich Wenghöfer - Ringreiter ziehen durch das Dorf

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Kalenderblatt (31. 07. 2022)