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Überliefert aus dem Mütterkurheim: Ein Märchen von Schmalensee

Schmalensee, den 11. 04. 2020

Wir erinnern uns: Gegenüber der Badestelle am Schmalensee, auf der Borgkoppel, stand einst ein futuristisch anmutendes Gebäude, das sich durch Baustil, Größe und Zweck komplett vom Dorf Schmalensee abhob. Das Mütterkurheim ist längst Geschichte. Geblieben sind Postkarten, Zeitungsberichte, eine heute an der Badestelle über den See blickende Skulptur und – ein Märchen.

 

1962 wurde das kurze Stück anlässlich des Abschiedsabends der Landfrauenkurzeit, die vom 13. Februar bis zum 10. März hier stattfand, von M. Gravert verfasst. Es gibt, verpackt wie eine Fabel, eindrucksvoll wieder, warum es dieses Mütterkurheim und viele weitere gegeben hat und immer noch gibt.

 

Eine Gedruckte und gebundene Fassung des Märchens hat es damals gegeben und ein Exemplar hat Marie-Luise Farken dem Arbeitskreis Dorfgeschichte Schmalensee überlassen. Wer mehr zum Märchen und zur Autorin sagen kann, melde sich bitte über das Kontaktformular dieser Homepage.

 

Das Märchen vom Schmetterlingsheim

Ein Märchen von dem Schloss am schmalen See von M. Gravert, 1962

 

Es war einmal ein geheimnisvolles Schloss, das lag auf einer Höhe an einem schmalen See. Es hatte keine Zinnen und keine Türmchen, keine Spinnweben in düsteren Winkeln und auch keine undurchdringliche Rosenhecke. Dennoch kam kein Unberufener hinein, denn die Hüterinnen des Hauses wachten darüber, dass denen, die hier wohnten, kein Leids geschah.

 

Es waren keine Prinzen und keine Prinzessinnen mit seidenen Gewändern und goldenem Geschmeide, die da aus den Fenstern schauten, und nicht alle waren jung und schön von Angesicht, aber einen freundlichen Schimmer in den Augen hatten sie alle. Der rührte daher, dass sie etwas zum Lieben hatten in dieser Welt – Kinder, Weggefährten oder auch Tiere, die der Liebe bedürfen. Aber auch Sorgenfalten hatten etliche unter ihnen, deren Haar schon ergraut war, und anderen fehlte das Wangenrot. Darum hatte man sie eingeladen in dieses Zauberschloss, wo sie das wiederfinden sollten, was sie verloren hatten. Sie sollten wieder lachen und singen lernen.

 

Dazu halfen ihnen die drei gütigen Feen im Schloss, die nahmen ihren Zauberstab und schenkten ihnen alles das zur rechten Zeit, was sie gebrauchten für Leib und Seele.

 

Die eine führte das Regiment in Küche und Keller, von jungen und fleißigen Hausgeistern umgeben. Man nannte sie „de witte Fru“, weil sie von dorther kam, wo die Meereswellen über den witten Sand rollen.

 

Die andere, rank und schlank wie eine Gazelle, die hatte einst ein Jägersmann in sein Herz geschlossen. Nun aber war sie in dieses Schloss gekommen und erfüllte es mit Frohsinn und Güte. Ihre großen Kinder, die nun unter ihrer Obhut standen, sangen wohl: „Frau Jaeger blies ins Horn...“, und taten dann alles, wie sie geheißen, aber es kam auch vor, dass etliche unter ihnen andere Wege gingen, doch strafen tat sie nie.

 

Die dritte Fee war groß von Gestalt und war so sanftmütig, dass sie all die vielen Wünsche ihrer Sorgenkinder zu erfüllen suchte, denn sie wollte keines traurig sehen.

 

Wer wollte wohl nicht gern in ein solches Schloss kommen? Von weit und breit hatten sich die müde gewordenen Frauen – denn nur solche waren Gäste in dem Haus – auf die Reise gemacht. Sie kamen alle aus dem Land zwischen den beiden Meeren, hatten Haus und Hof verlassen zur Winterzeit, das Wunder der Verwandlung zu erleben.

 

Es waren große und kleine, schwere und leichte, breite und schmale, ernste und heitere, stille und solche, die des Redens nicht müde wurden, hat doch der Herrgott die Gaben verteilt nach seinem Ermessen.

 

Eine Bäuerin war dort, mit schlohweißem Haar, die ihr Leben lang flink und geschäftig war auf dem Hof, die nun aber der Ruhe bedurfte. Eine war unter ihnen, mit Augen, so leuchtendblau wie das Wasser des Sees, eine andere war braun von Augen und Haar und hatte Grübchen in den Wangen, ihre Wiege stand an des Rheines Strom. Eine war wie der Eichbaum dort am Waldesrand, knorrig, hoch und unerschütterlich, als hätte sie allezeit auf dem Eiland im Osten dem Seewind getrotzt, eine andere hatte blondes Haar und Augen, die es gewohnt waren, in die Ferne zu schauen. Auch Insulanerinnen waren dort, die eine so schöne Sprache sprachen, welche nur sie allein verstehen konnten. Wieder eine andere kam aus dem Tal des Flusses „Sturia“, wie er einst geheißen, der jüngst aber über die Ufer getreten: sie war jung und zierlich von Gestalt und hatte den Schalk in den Augen. Die Jüngste aber, die ihr Kindlein daheim gelassen, und die Große mit dem Goldhaar, die kamen von dorther, wo auf dem gewaltigen Strom die Schiffe hinausfahren in die weite Welt.

 

Aber was ist ein Märchen ohne Königssohn oder Ritter? Einen einzigen gab es, der durfte eintreten in die heiligen Hallen. War er auch nicht von hoher, hehrer Gestalt, und kam er auch nicht hoch zu Ross, sondern mit einem grauen Wagen daher, so war er doch gern gesehen bei allen, denn er hatte heilende Hände und strahlte Ruhe aus. Man nannte ihn den Doktor Pille. Die Zaubertränklein, die er den Leidenden verabreichte, taten Wunder. Nach eines Mondes Frist waren alle wie verwandelt, hatten neuen Mut und flogen wieder davon, leicht und unbeschwert wie die Falter in den Frühling hinein.

 

Darum wohl, und weil alles so farbenfroh und licht war in dem Schloss am schmalen See, nannte man es hierzulande das Schmetterlingsheim.

 

Einst wohnte in einem der Gemächer auch eine Großmutter. Ihre Finger konnten nicht mehr die Spindel drehen, aber Geschichten spinnen, das konnte sie noch. Die erzählte sie des Abends beim Kerzenschein – und wenn der böse Wolf sie nicht gefressen hat, so lebt sie wohl noch heute!

 

Hört ihr die „102Gespensterchen“? Hört ihr das leise Rauschen des Sees und das Wispern im Schilf dort unten am Ufer? Klingt es nicht wie das alte Lied: „Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit klingt ein Lied mir immerdar.“

 

 

 

 

 

 

 

Bild zur Meldung: Ein Märchen von Schmalensee 1962

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24638 Schmalensee

 

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